Schauplätze

Ich-AG

Unwort des Jahres ist die Ich-AG geworden. Die lapidare Begründung der Wahl: ein Einzelner könne keine Aktiengesellschaft bilden.

Ein Individuum kann aber sehr wohl eine AG gründen und führen, von der Kontrolle durch den mindestens dreiköpfigen Aufsichtsrat mal abgesehen. Aber um Kontrolle geht es bei der Ich-AG nicht, sondern um die Ausrichtung des eigenen Lebens nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sozusagen um Nanoökonomie. Von daher steht die Begründung — vorsichtig formuliert — auf etwas wackligen Füßen.

Wichtig zur Bestimmung des Unwortes sei ein besonders krasses Missverhältnis von Wort und bezeichneter Sache, so beschreibt es Germanistik-Professor Horst Dieter Schlosser von der Universität Frankfurt am Main. Auch hier scheitert der Begründungsversuch, wenn man mal einen Blick in das Wörterbuch der New Economy (Duden) wagt. Dort steht:

Das Verständnis der eigenen Person als Aktiengesellschaft. Der Begriff bezeichnet den entscheidenden sozialen Wandel zur Jahrtausendwende. Menschen sehen sich verstärkt als Lebensunternehmer, die Eigenverantwortung statt Fremdverantwortung wählen. Diese Entwicklung geht mit dem ökonomisch erzwungenen Rückzug des Staates aus einem flächendeckenden Sicherheitsnetz einher. Weiterhin befördert die Transformation der Arbeitskultur, in der mehr Eigenständigkeit und Unternehmertum gefragt ist, das Selbstverständnis als Ich-AG. Dazu gehört vor allem, wie bei einer realen Aktiengesellschaft permanent am Kurswert der eigenen Person zu arbeiten: »Ich muss meine Ich-Aktie unbedingt wieder nach oben treiben.«
Man kann über die Hartz-Papiere sagen, was man will, aber eben diese Definition war dort mit der Ich-AG gemeint. Aus meiner Sicht war die Wahl ein Fehlgriff. Oder?


 
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Resident of Antville  seit 8170 Tagen
zuletzt aktualisiert:
22. Juni 2003, 17:43

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