Schauplätze

Eine neue Form von Stern an der Brust

Der ver.di-Chef Frank Bsirske hat die Namen reicher Deutscher genannt, denen ein Griff in die Geldbörse durch die Einführung der Vermögenssteuer kaum weh tun würde. Das gefiel Hessens Ministerpräsident Roland Koch gar nicht. Im hessischen Landtag schimpfte er also, dass die Nennung von Namen wie »eine neue Form von Stern an der Brust« sei. Die Konsequenz: Empörung und Entrüstung allerorten. Die Juden fühlen sich beleidigt. Andere glauben, dass die unbedachte Äußerung Kochs die Opfer des Nazi-Regimes verhöhnt.

Man mag sich darüber entrüsten, dass Koch in Vorbereitung des Wahlkampfs kalkuliert provoziert hat. Wollte Koch mit seinem Ausspruch aber die Juden als Opfer des Nazi-Terrors verunglimpfen oder gar eine politische Debatte auf ihrem Rücken austragen? Ich glaube nein.

Aus mir mittlerweile immer unverständlicher werdenden Gründen überreagiert die Mehrheit der Deutschen (zumindest die, von der man in den Medien hört), wenn jemand eine Parallele von der Gegenwart zu den Nazis zieht. Es scheint ethisch korrekt zu sein, so jemanden in der Hitze des Gefechts vollkommen unüberlegt als Nazi in die Ecke zu stellen. Wie als ob man einen Schalter umlegt, triggern Wörter wie Jude, Holocaust, Nazi, Hitler und viele, viele andere ein »Jetzt muss ich aber kontern«-Verhalten. Eine Lawine unreflektierter Empörung folgt sodann.

Franz Josef Wagner hat es in seinem offenen Brief in der Bild-Zeitung teilweise richtig erfasst, wenn er von der »der Dummheit eines Gewerkschaftsfunktionärs, reiche Deutsche an den Pranger zu stellen« spricht. Von einer Beschwörung der »Symbole des Holocaust« kann man bei nüchterner Betrachtung wohl kaum sprechen.

In der taz beschreibt man die Empörung als einen problematischen Reflex und begibt sich damit auf eine liberalere Position: »Wir können nicht einerseits das Dritte Reich — zu Recht — zur bestimmenden historischen Periode der deutschen Vergangenheit erklären, andererseits den rhetorischen, auch polemischen Rekurs darauf regelmäßig mit politischer Ächtung ahnden.«

Kochs Vergleich war unnötig, und nur deshalb deplatziert, aber er war nicht bösartig. Er diffamiert nicht und er beleidigt nicht, es sei denn, man will ihn missverstehen. Im Gegenteil: Er führt vor Augen, wie menschenverachtend der Umgang mit den Juden war, weil er nämlich nur dann funktioniert, wenn der Judenstern als Symbol des Holocaust anerkannt wird. Würde er es nicht, was bliebe dann von der Polemik einer namentlichen Anprangerung einiger Reicher übrig?


 
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Resident of Antville  seit 8138 Tagen
zuletzt aktualisiert:
22. Juni 2003, 17:43

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