Schauplätze

Sonntag, 20. April 2003

Lesen und Schreiben

Klagevoller Diskurs

Andrea Hessler will in ihrem Buch Republik der Besserwisser die Frage beantworten, ob der Besserwisser mehr vom Leben hat. Was ihr nur leidlich gelingt.

Besonders der Einstieg ins Buch ist arg polemisch geraten und wirft mehr Fragen auf als er zu beantworten vermag. Behauptungen bleiben bar jeder Erörterung im Raum stehen, Analysen im Ansatz stecken. Und so wirkt die erste Hälfte des Buch wie eine Loseblattsammlung von Gedankenbruchstücken, die lieblos zusammengesetzt und ausformuliert wurden.

Dass Frau Hessler zugibt, eine Besserwisserin zu sein, macht das Buch nicht erträglicher. Glücklicherweise ist da noch die zweite Hälfte. In der verzichtet sie auf das halbgare Lamentieren um Besser- und Halbwissen. Sie beschreibt stattdessen recht humorvoll alltägliche Situationen und beobachtet sich selbst und andere Menschen. Heraus kommen dabei amüsante Betrachtungen wie die folgende:

Warum sollen wir auf die kulturelle Annehmlichkeit industriell gefertigter Lebensmittel verzichten, obwohl sie gut schmecken und gleichzeitig die Beschäftigung von Tausenden Menschen — Chemikern, Fooddesignern, Marketingexperten — garantieren? Immerhin hat es Zehntausende von Jahren gedauert, bis wir uns den evolutionären Fortschritt von Weißbrot, Schokocreme und Dosenmilch erarbeitet hatten; da wäre der Rückgriff auf naturbelassene Körner und schorfbedecktes Öko-Obst doch wahrlich ein Rückschritt in die Barbarei.
Solche Passagen entschädigen glücklicherweise den eher unkritischen und wenig journalistischen Umgang mit Informationen, wie mit denen aus einer emnid-Umfrage: »82 Prozent der Deutschen fordern Bauern auf, ihre Landwirtschaft auf den teureren Ökobetrieb umzustellen.« Zeige mir einer die vier der fünf Deutschen, die das gefordert haben! Waren es nicht vielmehr vier von fünf Befragten, die auf die Frage des emnid-Instituts, ob Bauern ihren Betrieb auf ökologischen Landbau umstellen sollen, mit ja geantwortet haben?

Die Erkenntnis, dass vermeintliches Besserwissen und Dilettantismus nichts Nennenswertes zum Erfolg der Menschheit beitragen können, schützt sie nicht davor, ihre Leser mit haufenweise Zitaten zu quälen, von denen sie ein fremdsprachliches erstens falsch wiedergibt und zweitens nicht einmal übersetzt: »On presse l'orange, on jette l'écorse.« Wollte sie vielleicht écorces schreiben? Voltaires Ausspruch hieße im Deutschen dann sinngemäß: »Man presst die Orange, die Schale wirft man weg.«

Überdies verirrt sie sich allzu oft in umgangssprachlicher Notdurft: »doch jetzt wird es baumarkttechnisch für mich ernst« oder »jetzt bin ich sonntagsmäßig richtig gut drauf«.

Anders als mit mangelnder Konzentration ist es außerdem kaum zu erklären, dass Pointen nur mäßig treffen und sich die (fiktiven?) Ratgeber der Autorin häufig an unpassenden Stellen zu Wort melden. Viel des an sich vorhandenen Wortwitzes geht so verloren. Und platte Lebensweisheiten wie »Der Rock ist nicht zu eng, er bietet mir die Chance ein bis zwei Kilo abzunehmen«, werden als revolutionäre Reframing-Technik verkauft.

Stilistisch greift sie völlig daneben: Das vereinnahmende »Wir« oktroyiert das Denken und Fühlen der Autorin dem Leser auf. »Wir bekommen täglich suggeriert, dass sich Wissen auszahlt. […] die Informations-Tyrannei schraubt die Maßstäbe an unsere Leistungen im privaten und beruflichen Bereich nach oben. Aber macht uns das wirklich zu glücklicheren Menschen? Und was verpassen wir eigentlich, wenn wir uns mit bestimmten Dingen nicht mehr beschäftigen?« Die Ich-Form würde einen seriöseren und ehrlicheren Eindruck hinterlassen, ohne dass die Aussagekraft darunter irgendwie zu leiden hätte.

Das Buch ist weder ein geistreiches Werk noch ein Meisterstück der Polemik. Es ist eher ein Beleg dafür, dass sich die Autorin nicht den unschicklichen Gepflogenheiten einer Gesellschaft aus Besser- und Halbwissern entziehen kann.

Wer ein Essay wider die Besserwisserei erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich aber mit kurzweiliger Lektüre den Ostersonntag versüßen möchte, der ist mit Frau Hesslers Buch gut bedient, sollte aber warten bis das günstigere Paperback erschienen ist.

(Was ist diese Kritik eigentlich? Besserwisserei? ;-)


 
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Resident of Antville  seit 8169 Tagen
zuletzt aktualisiert:
22. Juni 2003, 17:43

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