Schauplätze

Mittwoch, 20. November 2002

Solidargemeinschaft contra Spaßgesellschaft

Abenteuerurlaube im Nepal oder Skifahren in Tirol: Der eine Spaß wird vergrätzt durch Durchfall, Hepatitis, Malaria und Höhenkrankheit, der andere durch einen schnöden Beinbruch. Regelmäßige Zechtouren hinterlassen Spuren in Hirn und Leber. Die unkontrollierte Aufnahme fettreicher und vitamin- und mineralstoffarmer Nahrung bringt den Metabolismus aus dem Gleichgewicht und ist Ursache zahlreicher Wohlstandserkrankungen. Bewegungsmangel schwächt Herz und Kreislauf. Das Rauchen ist der Keim für lebensgefährliche Tumore. Manch einer kennt nicht die Bedeutung des Wortes Mundhygiene und bekommt dann irgendwann grässliche Zahnschmerzen. Schlafmangel und (Dis)Stress begünstigen Bluthochdruck, können depressiv machen und zu Konzentrations- und Gedächtnisstörungen führen, und, und, und…

Alle genannten Störungen des Wohlbefindens sind behandlungsbedürftig. Und das macht sie teuer, teuer für die Krankenkassen und damit für deren Mitglieder. Ein Mitglied in einer Krankenkasse ist Teil einer Solidargemeinschaft. In dieser ist das gemeinsame Eintreten gegen Ungerechtigkeiten und für bestimmte Interessen das oberste Gebot. Solidarität bedeutet Gemeinsinn, also das Handeln im Sinne der Gemeinschaft.

Das Wunschdenken in diesen Gemeinschaften: maximale Versorgung zu minimalen Kosten. Das ist aber schon lange nicht mehr finanzierbar. Wir leben zu lange, die Bevölkerungspyramide steht Kopf und viele Mitglieder treiben Raubbau an ihrem Körper und nehmen unnötige gesundheitliche Risiken in Kauf.

Nun könnte man sagen, wenn die Solidargemeinschaft Spaß (am Raubbau) will, dann muss sie auch solidarisch dafür aufkommen, das heißt gegebenenfalls höhere Beiträge akzeptieren, um damit die Folgen des Spaßes zu finanzieren. Aber so einfach ist das nicht.

Wer verachtenswert egoistisch gegen den Gemeinsinn handelt und damit dem Prinzip der Solidargemeinschaft trotzt, der ist asozial, im wahrsten Sinne des Wortes (siehe auch Das Ende zahlreicher Räusche, taz vom 18. November 2002). Das gilt zumindest dann, wenn die Versicherungsnehmer einen Pauschalbetrag in die Krankenversicherung einzahlen oder einen Beitrag leisten, der mit ihrem Einkommen korreliert.

In der Diskussion um Studiengebühren hat der Kölner Soziologe Holger Spieckermann geschrieben: »Die Gemeinschaft trägt die Kosten gemeinsam unabhängig davon, ob einzelne Personen bestimmte Leistungen in Anspruch nehmen.« Das halte ich für grundsätzlich richtig. Der Ausspruch lädt aber zu Missverständnissen ein, weil die Ursache für die Notwendigkeit einer Leistung nicht in die Betrachtung einbezogen wurde. Denn Diabetes fällt nicht vom Himmel (Marburger Bund Zeitung Nr. 16 vom 15. November 2002). Das bedeutet, dass viele Krankheiten und Gebrechen ihren Ursprung in einem nicht mit der Gesundheit vereinbaren Lebenswandel haben. Darum verlangt »die steigende Lebenserwartung der Versicherten […] mehr Eigenverantwortung im Gesundheitsverhalten.«. Das hat das Bündnis Gesundheit 2000 als einen Eckpunkt patientengerechtens Gesundheitswesen vorgeschlagen. Wenn es gelingt, die Solidargemeinschaft zu dieser Verantwortung zu erziehen, dann werden ihre Mitglieder auch nicht jammern, wenn einige wenige besondere Leistungen in Anspruch nehmen. Ich möchte aber bezweifeln, dass das gelingt.

Darum plädiere ich für die Abschaffung der gesetzlichen Krankenversicherung. Jeder soll sich sein persönliches Leistungspaket zusammenschnüren können. Dann bemessen sich die Beiträge zu den Krankenversicherungen daran, — wie es bereits heute im Ansatz bei den privaten Krankenversicherern erkennbar ist — an dem Risiko, das der Einzelne für die Gemeinschaft darstellt. Raucher zahlen dann wahrscheinlich mehr als Nichtraucher, Stubenhocker mehr als gesundheitbewusste Sportler, River-Rafter mehr als Wanderurlauber, und so weiter. Und wenn bestimmte Risiken für die Krankenversicherer nicht kalkulierbar sind, dann kann der Einzelne sich eben nicht gegen Schäden daraus absichern und muss die Konsequenzen seines Lebenswandels (für den er ja verantwortlich ist) alleine tragen. Höre ich da Gegenstimmen? Keine Sorge, bei den Sach-Versicherern funktioniert diese Form der Kalkulation seit langem prächtig. Und im übrigen muss man sich nur ein bisschen in Enthaltsamkeit üben, um den eingangs genannten »Befindlichkeitsstörungen« vorbeugen zu können.


 
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Resident of Antville  seit 7996 Tagen
zuletzt aktualisiert:
22. Juni 2003, 17:43

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