Schauplätze

Montag, 18. November 2002

Bittere Bücher

Dass mit der Bilanzlegung nach deutschen und internationalem Recht etwas im Argen ist, dürfte weithin bekannt sein. Schließlich waren die Gazetten der letzten Monate voll mit teilweise dramatischen Meldungen über Fälschungen, Vertuschungsaktionen und Umsatzphantastereien. Dass Bilanzen aber zu kurzsichtigen Personalentscheidungen führen können, wissen weit weniger Menschen.

Gehälter und Löhne, Lohnnebenkosten, Umsatz- und Gewinnbeteiligungen, der Arbeitsplatz selber, das alles sind Kosten und damit Passiva. Fakt ist, dass Arbeit immer noch zum größten Teil vom Menschen verrichtet wird, und die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass das Wissen in den Köpfen der Menschen immer größere Bedeutung erlangt. Darum hat man Wissen neben den drei klassischen Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital als vierten schon lange erkannt. Merkwürdig (im Sinne von »würdig zu merken«) ist in diesem Zusammenhang, dass zwei der vier Produktionsfaktoren sich alleine im Menschen vereinigen. Gibt das nicht Grund zur Annahme, dass Unternehmen gut daran täten, ihr Personal fairerweise als Aktivposten zu verbuchen? Können sie aber nicht.

In Zeiten sinkender Umsätze und Margen ist der Druck auf die Kosten hoch, um zumindest bilanziell beim nächsten Abschluss gut dastehen zu können. Auf der Personalseite sieht das dann so aus: Bonuszahlungen werden verschoben (oder soll ich besser sagen: aufgehoben?), Löhne und Gehälter werden eingefroren, natürliche Fluktuationen werden ausgenutzt, um den Mitarbeiterbestand zu dezimieren, und durch Verschmelzungen mit anderen Unternehmen wird fieberhaft versucht »Synergien zu heben«. Dass bei solchermaßen Fiebrigkeit der Kopf nicht kühl bleibt und darum reihenweise Fehlentscheidungen gefällt werden, brauche ich eigentlich nicht extra zu schreiben. »Synergien heben« heißt nicht anderes als »Kosten senken«. Der Mitarbeiter, das bedeutendste Kapital eines jeden Unternehmens, bleibt auf der Strecke. Teure Kräfte werden herauskomplimentiert … einfach weil sie teuer sind. Aber fragt denn niemand, warum sie teuer sind? Ist es nicht so, dass sie aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung oder ihres frappierenden Know-hows effektive Routiniers sind? Wenn sie also in der Lage sind, in kürzerer Zeit die besseren Entscheidungen zu treffen und die besseren Ergebnisse zu erzielen als ein vermeintlich billigerer Mitarbeiter, dann sind sie zwangsläufig ihr Geld wert. Sicher sind diese positiven Merkmale nicht allen teuren Kräften gemein, aber es lohnt sich kritisch zu sein, mal die Bücher beiseite zu legen und Kosten Kosten sein zu lassen. Ein Blick hinter die Kulissen offenbart dann schnell: Nur weil sich exzellente Fach- oder Führungskräfte nicht mehr im eigenen Unternehmen verdingen, heißt das nicht, sie haben sich aufgelöst. Nein, sie wirken jetzt bei der Konkurrenz. Und für gewöhnlich wird man sie nie wieder zurückgewinnen können. Mit ihnen ist Know-how gegangen. Und wenn die Lücke, die sie hinterlassen haben, beizeiten wieder geschlossen werden soll, dann wird auch der Controller spüren, dass Personalbeschaffung Geld kostet.

Mein Aufruf also: Controller aller Länder, vereinigt euch! Und wirkt darauf hin, dass dem Menschen nicht nur eine aktive Rolle im Produktionsprozess zuerkannt wird, sondern auch bei der Buchführung. Das beugt Fehlentscheidungen vor und würdigt den Menschen als den Aktivposten, der er de facto seit jeher ist.


 
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Resident of Antville  seit 7993 Tagen
zuletzt aktualisiert:
22. Juni 2003, 17:43

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